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Tagungsbericht zum Workshop "Medium Menschenbild"

30.03.2011

Vom 17. Bis 19. Februar 2011 luden Jens Eder, Joseph Imorde und Maike Sarah Reinerth für die Filmwissenschaft / Mediendramaturgie der Universität Mainz und die Kunstgeschichte der Universität Siegen Forscher und Forscherinnen unterschiedlicher Disziplinen zu einem Workshop mit dem Thema „Medium Menschenbild“ ein. Förderer waren der Forschungsschwerpunkt „Medienkonvergenz“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und das Labor Neue Kunst Siegen. Ziel der Tagung war, das grundsätzliche Verhältnis von Medialität und Menschenbild zu analysieren, die Spezifik medial vermittelter Menschenbilder im interdisziplinären Austausch zu diskutieren sowie auf die in ihnen implizit enthaltenen konzeptuellen Vorstellungen hinzuweisen.

JOSEPH IMORDE (Siegen) und JENS EDER (Mainz) wiesen in einer thematischen Einführung auf die historisch und kulturell hohe Variabilität von Menschenbildern und auf die Vorteile eines interdisziplinären Austauschs hin, bevor sich in der ersten Sektion am Nachmittag des 17. Februar drei Referentinnen dem Thema „Neue Menschen“ widmeten. UTA BITTNER (Freiburg) stellte in ihrem Vortrag philosophische Reflexionen darüber in den Vordergrund, wie biotechnisches Enhancement Einfluss auf gegenwärtige Menschenbilder nimmt. Sie wies darauf hin, dass die neuen technischen Möglichkeiten den Menschen im Kontext eines technischen Ideals von Effizienz und Funktionalität als defizitäres Wesen erscheinen ließen. Im Anschluss erläuterte JULIA INTHORN (Göttingen) die Konflikte verschiedener Menschenbilder in der Debatte um ästhetische Chirurgie, die sich anhand einer empirischen Analyse von Zeitungsartikeln, Anbieterinformationen und medizinethischer Stellungnahmen zeigten. Deren heterogene Konzepte des Menschen wiesen Menschenbilder als normative Verhandlungsmasse aus. Schließlich untersuchte die Kunsthistorikerin HELEN BARR (Frankfurt am Main) den „neuen Menschen“ in Werbeanzeigen illustrierter Zeitschriften der 1920er-Jahre. Das breite Spektrum der Werbung für Pflegeprodukte und Genussmittel suggeriere Orientierungshilfe in der urbanisierten Welt und propagiere ideale Menschenbilder der Moderne.

Der zweite Themenschwerpunkt lag am Folgetag auf der Medialität von Menschenbildern. In ihrem Vortrag arbeitete MAAHEEN AHMED (Bremen) unterschiedliche Darstellungsmöglichkeiten von Menschen in Mangas, Comics und Graphic Novels heraus. Dabei legte sie ihr Hauptaugenmerk auf Publikationen, in denen Fremdheit und Rasse thematisiert werden. Am Beispiel von _House M.D._ zeigte SEBASTIAN ARMBRUST (Hamburg) die Besonderheiten der seriellen Repräsentation von Menschenbildern auf und berücksichtigte dabei vor allem das Arzt-Patienten-Verhältnis. Den Fokus lenkte er auf die Serien-Hauptfigur und deren für einen TV-Mediziner unkonventionellen Charakter. Vor dem Hintergrund einer transmedialen Figurentheorie gingen JAN-NOËL THON (Hamburg/Mainz) und FELIX SCHRÖTER (Hamburg) anhand von drei Fallstudien auf die spezifische Medialität von Computerspielen ein, die – so die Kernthese – einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die jeweiligen Menschenbilder habe. Die grafisch-konzeptuelle Veränderung der Spielfigur Lara Croft wurde ebenso thematisiert wie die Ebenen narrativer Elemente der Computerspiele _Warcraft III_ und _World of Warcraft_ und der Umgang der Spieler mit den angebotenen Körperbildern.

Zu Beginn der dritten Sektion „Körperbilder“ befasste sich die Tanzwissenschaftlerin FRANZISKA BORK PETERSEN (Stockholm) mit der Authentizität und Artifizialität von Körpern in verschiedenen Medien und der Kunst. So gelte in der zeitgenössischen Körperkultur trotz der prinzipiellen Konstrukthaftigkeit und Performanz des Körpers immer noch der repräsentative Zusammenhang von Schein und Sein. Anschließend demonstrierte ERWIN FEYERSINGER (Innsbruck) anhand mehrerer Animationsfilme, wie auf wenige Merkmale bzw. Striche reduzierte Körper dennoch in der Lage seien, menschliche Aktionen und Emotionen zu repräsentieren. Die bei der Reduktion erfolgende Abstraktion bilde ein essentialistisches, aber auch generalisierendes Menschenbild heraus, das zur Überbetonung einzelner Charakteristika neige.

Der vierte Themenkomplex widmete sich Bildern der menschlichen Psyche. Zwei psychologische Testverfahren standen im Zentrum des Vortrags von DAVID KELLER (Berlin): der „experimentellen Triebdiagnostik“ und dem „Thematic Apperception Test“ liegen Bildmedien als Stimuli zu Grunde. Die Auswahl von Bildern und Bilderfolgen, die Anleitung der Probanden zur narrativen Kontextualisierung sowie die vorgesehenen Methoden der Bewertung so gewonnener Ergebnisse ließen Rückschlüsse auf das Menschenbild der Entwickler des Testverfahrens zu. In ihrem anschließenden Vortrag untersuchte MAIKE SARAH REINERTH (Mainz/Hamburg) ausgehend vom „homo imaginarius“ – dem wahngeplagten Menschen – audio-visuelle Inszenierungen mentaler Bilder wie Erinnerungen, Träume oder Fantasien im fiktionalen Spielfilm. Dabei berücksichtigte sie medial mögliche Darstellungsmodi, historisch bedingte Darstellungskonventionen ebenso sowie anthropologische und kulturelle Wissensbestände im Hinblick auf ihre Menschenbildhaltigkeit.

Die fünfte Sektion setzte sich am 19. Februar mit Menschenbildern und ihren kulturellen Kontexten auseinander. CLEA CATHARINA LAADE (Kiel) eröffnete mit einem Vortrag über die 1950 gezeigte Ausstellung „Das Menschenbild in unserer Zeit“ und das begleitende erste Darmstädter Gespräch. Laade legte am Beispiel der Konflikte zwischen beteiligten Künstlern und Intellektuellen dar, dass unterschiedliche Bedeutungsaspekte des Begriffes „Menschenbild“ und individuell vorgeprägte Weltanschauungen eine einheitliche begriffliche Verwendung erschweren. SVEN STOLLFUß (Marburg) referierte über die Zunahme und mögliche Zukunft medizintechnischer Interventionen anhand von realen, performativen sowie filmischen Beispielen und analysierte die begleitenden Bewertungen der in diesem Zusammenhang entstehenden „Menschmaschinen“. Diese würden mit dem Begriff des Monströsen belegt, weil die Technik biologische und gesellschaftliche Limitierungen des Menschen überschreite. Andererseits gelte der Cyborg in der postmodernen Gesellschaft auch als  nächster Schritt der Evolution zum hybriden Körper. JÖRG SCHELLER (Zürich) beschäftigte sich am Beispiel von _Iron Man_, _Batman_ und _Watchmen_ mit der Figur des Unternehmers im Superheldenfilm. Unter dem Konzept des Philanthrokapitalheroismus behandelte er heldenhafte Unternehmerfiguren, die aufgrund ihres Kapitalüberflusses philanthropischen Projekten nachgehen, und die mit solchen Figuren verbundenen sozio-ökonomischen Ideale.

Der letzte Themenkomplex widmete sich der Darstellung von Lebensanfang und Lebensende des Menschen in Bildmedien. DANIEL HORNUFF (Karlsruhe) untersuchte das Bild des Ungeborenen ausgehend von seiner frühen kunstgeschichtlichen Darstellung als im Mutterleib eingeschlossenem, fertig-entwickeltem Subjekt bis hin zur gegenwärtigen Visualisierung des Fötus in 3D- und 4D-Ultraschallverfahren. Dabei warf er die Frage auf, welche Wechselwirkungen zwischen dem Fötus als ästhetischem Spektakel im Bildmedium und seiner politischen und rechtlichen Identifizierung als Menschenwesen bestehen. SABINE KAMPMANN (Florenz) beschäftigte sich mit der fotografischen Produktion von Seniorität in unserer Gesellschaft, in welcher der jugendliche Körper noch immer als normatives Menschenbild dominiere. Eine Analyse der vermehrten und zunehmend von Stereotypen abweichenden Darstellung greiser Körper verweise jedoch auf das Aufkommen einer neuen Sichtbarkeit des Alters, in der Menschenbilddarstellungen zunehmend auch Altersdarstellungen seien.

Zum Abschluss des Workshops fand nach einem kurzen Resümee von Jens Eder eine Diskussion statt, in der verschiedene Möglichkeiten einer zukünftigen Kooperation erörtert wurden. Mit der schon vor dem Workshop eingerichteten Website www.menschenbild.org existiert ein erstes Austauschforum für solche Kooperationen zur Menschenbild-Forschung.

 Die Notwendigkeit eines interdisziplinären Austauschs wurde im Laufe der Tagung immer wieder deutlich und lässt sich auch als Fazit des Workshops begreifen: Die vielfältigen Wirkmechanismen und Vorstellungskonstruktionen des „Mediums Menschenbild“, der medial vermittelten Menschenbilder, lassen sich nur durch die Pluralität unterschiedlicher Forschungsansätze mit hinreichender Differenziertheit herausarbeiten. Durch ihre spezifischen Zugangsmethoden können die Medienforschungsdisziplinen in einer fächerübergreifenden Perspektive komplexe und ineinandergreifende Facetten der medial vermittelten Menschenbilder bewusst machen. Vor dem Hintergrund eines immer stärker medial geprägten Weltzugriffs gewinnt deren Befragung und Analyse zunehmend an Bedeutung.

Sarah Böhmer / Daniel Bund / Felix Kirschbacher

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